Ein Mitglied von uns, Rüdiger Bidlingmaier, ist zur Zeit auf Weltreise mit seinem Fahrrad; vom Frühjahr bis Ende September. Hier einer seiner Berichte von ihm:
Seit vergangenem Montag (6945 km) befinde ich mich in der Islamischen Republik Iran. Die Reise hat mit dem Verlassen von Georgien vor ca. 10 Tagen eine für mich neue Dimension der physischen wie psychischen Belastung erlangt und in Azerbaidschan einen ersten Tiefpunkt (Die Sinnfrage gestellt) erreicht, was nicht unüblich bei einer längeren Reise ist.
Mit der Enterung in Azerbaidschan verschärften sich die klimatischen Bedingungen. 44 Grad um 12:00 Uhr waren normal. Auf der staubigen Strasse war ich fortan Freiwild und für die wilden schrottreifen Ladas zur Jagd freigegeben. Man konnte nirgends anhalten, geschweige denn elementare Besorgungen wie Einkäufe oder Darmentleerungen vorzunehmen, ohne mit den gleichen Gesten und Fragen bedrängt zu werden. Als Tourist gleicht man in dieser Region einem Ausserirdischen vom Mond. Touristische Infrastruktur sucht man auserhalb der Hauptstadt Baku vergebens. So war ich mehr denn je auf wildes Campen und Körperhygiene im Weiher angewiesen. Zahnersatz erfolgt in Azerbaidschan ausschliesslich in Form von Gold. Und so trifft man in Azerbaidschan auf viele Menschen mit veritablem Mundgehalt. Vermutlich der einzige Grund, warum unser ehemaliger Bundes-Berti in Azerbaidschan angeheuert hat.
Um dieses Land wieder schnell verlassen zu können, und um an das Kaspische Meer, einer warmen Pfütze, zu gelangen, durchquerte ich ca. 600 km auf direktem Weg im Landesinneren, welches kargen und wüstenähnlichen Charakter aufweist. Die letzten 150 km bis zur See legte ich per Autostop in diversen Lieferwaegen und auf Pickups zurueck.
Inmitten subtropischer Vegetation am Kaspischen Meer angelangt kam die Freude am Reisen und die Neugier an der azerbaidschanischen Küche zurück, was ich wenig später, nach dem Grenzübertritt in den Iran bitter bereuen sollte. An der Grenze nach Astara (Iran) wurde ich freundlich empfangen. Im nationalen Fernsehen mit drei Kanälen bekam ich die ersten Mullahkundgebungen zu sehen.
Die Einreise in den Iran hat weniger Zeit beansprucht als die Ausreise aus Azerbaidschan. Auch in den letzten Minuten meines Aufenthaltes in diesem sehr einfachen und nach dem verlorenen Krieg gegen Armenien (welche von den Russen supportet wurden) von Frustration geprägten Land, wurde ich mit den gleichen Fragen gelöchert. Woher, wohin, verheiratet, und vor allem wieviel hat mein Fahrrad gekostet, usw..
Nach wenigen Kilometern im regen aber disziplinierten Strassenverkehr im Iran wurde ich von einem Leiter eines Sprachinstitutes (Englisch) in seine Unterrichtsräume zum Campieren eingeladen. Am nächsten Tag durfte ich seinen interessierten Schülern im Alter von 10-21 Jahre in Englisch Rede und Antwort stehen, bevor es in anhaltendes Sitzen auf der Toilette auf Grund von Durchfallattacken überging.
Mangels Reisefähigkeit durfte ich mich im Institut gesund schlafen, und vorgestern wieder gesundet Fahrtwind aufnehmen. Um diesen bei 43 Grad zu erlangen, muss man schnell strampeln. Seit gestern bin ich wieder alleine unterwegs.
Arnaud, mit welchem ich seit dem 12. Juni unterwegs war, hat sein Ziel Teheran weiterverfolgt, wovon ich Abstand genommen habe, da ich mich dieser Tage und zu dieser Jahreszeit nicht tauglich fühle, eine derartige Metropole, geschweige denn andere Städte (Esfahan) im wüstenheißen Süden der Republik aufzusuchen. Im Nordwesten sind die Tagestemperaturen bei ca. 43 Grad vergleichsweise moderat. Es war gut, eine Zeit, vor allem in Goldbaidschan gemeinsam reisen zu können, wenngleich der mir wichtige Raum zum Rückzug fehlte. Dies genieße ich wieder mit dem heutigen Tag, keine Absprachen treffen und Kompromisse finden zu müssen.
Heute, Freitag, ist Holiday, heißt nichts anderes wie unser Sonntag, und so hat das emsige Treiben erst nach dem erfolgten Freitagsgebet wieder Fahrt aufgenommen. In den bisherigen guten, unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführten Gesprächen und herzlichen Kontakten mit Einheimischen gewann ich gänzlich andere Eindrücke von dem Land und seinen Menschen, als mir bislang über unsere Medien vermittelt wurde. Die Menschen trauern sehr der Zeit des Aufbruchs und der Reisefreiheit unter Schah bis 1982 nach. Ein Visa erhält ein junger Mann nur dann, wenn er seinen Militärdienst abgeleistet hat. Die Menschen sind neugierig und durchaus unseren Werten und Interessen zugewandt und stellen sehr wohl eigene, nicht zeitgemäße Traditionen in Frage.
Mit der Machtübernahme der Mullahs, die laut Aussage eines frustrierten Iraners lediglich von ca. 5 Mio Iranern Zuspruch und Akzeptanz erfahren, kam die Prohibition zurück. Und wie überall, stillen die Menschen dann ihre Gelüste (Alkohol, Drogen) und Bedürfnisse (Sex) umso mehr an geheimen Orten, stets in der Angst, erwischt zu werden.
Das Leben ist für die Iraner teuer und von steter Inflation geprägt. Ein Großteil der jungen Menschen ist ohne Perspektive. Weder beruflich noch in Sachen Familiengründung. Denn für letzteres benötigt man viele Dollars (min. 50000 $), bzw. 500000000 Rials.
Eine Trennung bzw. um ein freier Mann wieder sein zu können, kommt noch teurer: 150000 $ (1500000000 Rials ). Bei Zahlungsunwilligkeit wandert man in den Knast.
Als Tourist mit der Währung Rial zurecht zu kommen ist nicht ganz einfach, weil es Noten von 500 bis 500000 Rial gibt. Und so muss man beim Einkauf bzw. bei der Preisabsprache stets hochkonzentriert sein, um nicht schneller seinen Dollars abhanden zu kommen, als einem lieb ist.
Allen, die meine Rückkehr und ein baldiges gemeinsames Bierchen herbeisehnen, kann ich mitteilen, dass ich gemäss des aktuellen Routenverlaufes seit gestern auf der Rückreise bin, denn nun halte ich wieder Kurs auf den Westen unseres Planetens.
Voraussichtliche Zeitfenster im Juli:
Tabriz, Iran, 10.Juli
Lake Van, Türkei, 12.Juli
Kayseri (Kapadokien), 18.Juli
Alanya, 25.Juli
Bodrum 30.Juli
Herzliche Grüße und einen weniger heißen Sommer wünscht Euch
Rüdi