Freitag, 1. Juli 2016

„Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir und will dich segnen:“ lese ich am Sonntagmorgen in meinem Losungsbüchle. Letzte Zweifel werden weggeblasen. Zum ersten Mal 200 km und 3300 hm, da saß mir doch die Furcht im Nacken. Aber wenn das so ist. Fürchte dich nicht! Albextrem 2016, ich komme!  

Zum Foto reicht es dieses Jahr nicht. Der Matsch beim Parken war too much. 
 
 
 

Aber egal. Der Berg ruft. Der Hohenstaufen. Groß und mächtig – schicksalsträchtig – um seinen Gipfel jagen – Nebelschwaden. Warm werden, innerlich und äußerlich. Eins werden. Mit dem Rad. Mit der Alb. Mit mir selbst.

Letzteres fällt am schwersten. Ich im Dialog mit mir. Fühl mich wie bei einer Talkshow. Tausend Stimmen in mir. Jeder weiß alles besser. 

Das erste blauweiße Diakonie-Trikot reißt mich heraus aus meinen Gedanken. Wie schön! Nachdem mich in diesem Jahr meine alte Stammtruppe allein ziehen lassen musste. Diakonie ist Heimat.
Während ich ins Gespräch komme, zieht an uns ein anderer Radfahrer vorbei. Auf dem Trikot steht: Turkye. Kann man überlesen. Muss man aber nicht. Mein erster Gedanke: Muslime fahren auch mit? Im Ramadan? Albextrem hoch Albextrem, würde ich sagen. Selbst am 21.12. wär mir der Tag zu lang. Ohne Bierschinkenbrot in Waldstetten oder Brühe in Gnannenweiler. Dabei dachte ich immer, wir christlichen Diakoniker würden hier die Leidenden vertreten.

Ein kurzer Versuch, dem vermeintlichen islamischen Glaubensbruder nachzuspurten scheitert. Nur der Halbmond am Himmel, der sich mehr und mehr gegen die Sonnenstrahlen erwehren muss, erinnert mich noch einige Zeit an diese Begegnung der besonderen Art. 

Ansonsten gleite ich ab 10 Uhr mit meinen Gedanken wieder in die innere Immigration ab. Oder ist es eher eine Emigration? Weiß nicht, ob’s euch auch so geht: Bei zunehmenden Kilometern bin ich innen immer leerer. Fühle nur noch außen. Vor allem außen unten. Der Wolf und ich unterwegs.

Womit wir wieder beim Leiden wären. Und dem Kreuz, das wir tragen.

Zuhause in Tübingen predigt mein lieber Kollege gerade über die Torheit des Kreuzes. „Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft.“ Daran muss ich immer wieder denken. Was dem einen Torheit ist, ist dem Anderen Kraft der Gnade.  

Albextrem hat auch so ihre beiden Seiten: Torheit und Gnade. Verrückt immer wieder, da mitzufahren. Spätestens ab dem Hexensattel bin ich mit dieser Meinung immer nicht allein. „Habt ihr diesen Berg hier hingeschüttet?“ frage ich die, die da kurz vor dem Gipfel mit Applaus den Rücken stärken wollen. Sie lachen. Torheit! 

Dann noch Oberböhringen. Stötten. Birkenhöfe.
Alles Torheit.
Und von wegen 3300 hm:
Bin am Ende bei 3580 hm.
Bin am Ende.
Ende.  

Und da dann aber doch: Gnade.
Wenn sich alles wieder auseinanderschält.
Rad und Mensch.
Wolf und Sattel.
Und sich der Stolz regt und die Zufriedenheit.
Und die Torheit der Fahrt zur Gotteskraft wird und einen trägt und trägt und trägt … 

„… will dich segnen!“ Wieder hat ER es wahr gemacht. Was sind wir gesegnet!
Darum: Fürchtet euch nicht! Bis zum nächsten Jahr!
 
Jan-Christoph