Dienstag, 29. Juni 2010

Alb extrem - die Diakonie hört nie auf

Die Nacht vor der albextrem 2010. Extern bin ich bei Willi Weid gelagert, Chef des Diakonie Fund Racing Teams in Geislingen. Anders als im Vorjahr sind die äußeren Rahmenbedingungen prächtig. Kein Alkohol. Kein Regen. Und die Hoffnung: Kein Problem.
In der Nacht aber gilt: Kein Auge. Zugemacht, mein ich. Alp extrem. Fühle mich wie die Skifahrer vor einem Slalomrennen, die die Strecke noch mal durch gehen. Im Kopf. „Hohenstaufen hoch, Gmünd runter, Aasrücken hoch, Ottenbach runter, hoch, runter, hoch, runter …“
Entsprechend kaue ich auf meinem Müsli herum. Das gesunde 30 Mal Kauen pro Biss gelingt mir immer nur vor der albextrem.
Aber dann der Weg nach Ottenbach. „Der Mond ist aufgegangen, der weiße Nebel wunderbar… Gott lass dein Heil uns schauen!“ So schön, die Alb! Extrem!


Beim Fototermin bekommt man einen ersten Eindruck von der Größe des Diakonieteams. Fürs Foto müssen alle ausatmen, sonst gehen nicht alle drauf. Dann wird noch kurz ausgetauscht, wie viele Kilometer der eine oder die andere ins Visier genommen hat. Leicht anfrustriert nehme ich zur Kenntnis, dass man die albextrem noch wesentlich schmaler in Angriff nehmen kann. Deswegen gilt es beim Fotoshooting nicht nur auszuatmen sondern gleichzeitig den Bauch einzuziehen.
Dann setzt sich die blaue Flotte in Bewegung. Allein 40 sind es aus Geislingen. Diese machen sich stark für die Aktion Rückenwind. Was wie egomanes Bikerdoping klingt, ist ein engagiertes Projekt zur Unterstützung finanziell benachteiligter Kinder und Jugendlicher im Landkreis Göppingen.
Rückenwind gibt es nicht, als es gleich zu Beginn hoch geht nach Hohenstaufen. Dafür sieht man, oben angekommen nicht mehr nur den fast vollen Mond, sondern auch die güldne Sonne am Horizont aufgehen. „Bringt unsern Grenzen mit ihrem Glänzen ein herzerquickendes, liebliches Licht.“ Dabei ist es bei diesem Anblick nur schwer möglich an Grenzen zu denken.
Und erst recht bei dieser Abfahrt!
Dass man ein Teil dessen sein darf – dieser Gedanke ist auch Rückenwind. Kaum einer, wenn man sich umschaut, der nicht ein Lächeln im Gesicht und ein Leuchten hinter der Sonnenbrille hat.
An den Büschen zwischen Straßdorf und Lenglingen, zwischen denen Willi und ich im letzten Jahr noch böse verhockt waren, ziehen wir jetzt leicht überheblich vorbei. Und ziehen die erste Banane. Nie ein Fehler!
In Waldstetten gibt es Nachschub. Insgesamt hat das Orgateam der albextrem wieder 10000 Bananen bereitgestellt. Und Hefezopf natürlich. Ich bin erstaunt mit welcher Geschwindigkeit man sich Müsliriegel, Hefezopf und Brezel einverleiben und die Speiseröhre hinunterjagen kann. Rasende Abfahrt im eigentlich verbotenen Pulk. Wenn ich mich da an mein Müslikauen vor drei Stunden erinnere … 30 mal Kauen – diesmal für alles zusammen.
Weiter geht’s dem Angstgegner Furtlespass entgegen. „Tückisch!“ – „Gemein!“ – Das sind die Wortfetzen, die man auf dem Weg dort hinauf aufschnappt.
Und dazwischen heißt es einmal mehr Bauch einziehen und Lächeln aufsetzen. Die ersten vom Fotografenteam haben sich einmal mehr an der steilsten Stelle aufgestellt.
Kurz vor oben überholt mich einer und sagt: „Ja hört denn das mit denen von der Diakonie gar ned auf!?“ Kurz nach oben wäre mir lieber gewesen. So antworte ich wortkarg mit einem eher heraus gehusteten Lachen: „Nein, die Diakonie hört nie auf!“
Auf der Abfahrt nach Weißenstein genieße ich in aller rasenden Stille meine großen Worte und beschließe sie für diesen Bericht zu bewahren.
In Bartholomä trinke ich zum ersten Mal ein isotonisches Getränk. Harngelb. Temperatur vermutlich auch an die 37°. Geschmack … Nun, ich will nichts behaupten, was ich nicht beweisen kann. Die dritte Banane (auch gelb, auch 37°) macht ein Weiterfahren möglich.
Langsam wird’s heftig. Meine drei Mittreter stellen zum ersten Mal die Sinnfrage.
„Warum?“. Die Frage ist mir eine geläufige. Doch auch in diesem Zusammenhang ist sie nur schwer zu beantworten. Wie die drei schlafenden Jünger im Garten Gethsemane legen sich die drei Fragezeichen nach der Weilemer Steige ins Gras.
„Ich fahr jetzt nix mehr“ sagt Willi und ich kann’s nicht glauben. „Bleibet hier und radelt mit mir, radelt und betet!“ Hätte ich fast gesungen. Aber dann kam die Versorgungsstation der Diakoniefrauen aus Geislingen. Ein wahrer Jungbrunnen. Die herrlich verzierten Brötchen lassen die bis hier gefahrenen 2200 Höhenmeter nahezu vergessen. Willi ist wie verwandelt. „Manchmal stehen wir auf. Stehen wir zur Auferstehung auf. Mitten am Tage.“ hat Marie Luise Kaschnitz gedichtet. Da muss sie uns Vier vor Augen gehabt haben!
Mit unendlicher Leichtigkeit schwingen wir uns wieder auf unsere Räder und schweben über Land davon. Unendliche Weiten. Schalkstetten, Stubersheim, Amstetten.
Vor Wittingen dringend noch mal eine Banane.
Wer hat die eigentlich erfunden?
Stötten ist auch in diesem Jahr wieder der Höhepunkt der Versorgungsstationen: Joghurt, Cola und dann noch Freilichtdusche.
Mittlerweile spielen die Deutschen gegen England. Kurz vor Wißgoldingen wird durch die Reihen gerufen: 1:0 durch Klose. Hat da doch einer einen Knopf im Ohr.
Ich erhöhe die Schlagzahl. Wenigstens die zweite Halbzeit …
Um kurz vor 5 bin ich am Ziel. Viele von der blauen Flotte sind schon da. Ein paar wenige werden noch folgen. Und einmal mehr beweisen: „Die Diakonie hört nie auf.“ Ein extrem gutes Gefühl. In diesem Sinne: Bis zum nächsten Jahr bei der albextrem 2011!
Christoph Wiborg